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(Vortrag zur Tagung der Berliner Initiative im Januar 2001) Dr. Christian Homrichhausen: Das Zwangsarbeiterlager der Kirche auf dem Friedhof Hermannstraße 84/90 Publizität hat das Lager seit dem
Bekanntwerden der Beteiligung der Evangelischen Kirche in Deutschland an der Stiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” vom August letzten Jahres reichlich erhalten. Mein Bericht ist ein Blick in die
Werkstatt unserer Arbeitsgruppe “Kirchenkampf und Zwangsarbeit 1933 - 1945”, die im Auftrage der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg tätig ist. Wir wollen durch das Ermitteln von Namen der in
dem Lager untergebrachten Personen einen Beitrag zur Versöhnungsarbeit leisten. Unsere Ergebnisse zur Anlage des Lagers, den Lebensbedingungen der dort lebenden Personen und die Beteiligung der Gemeinden sollen
nachprüfbar sein und den Vergleich mit Einrichtungen ähnlicher Art sowohl im Raum der Kirche, wie z. B. der Diakonie, der öffentlichen Hand sowie der Wirtschaftsverbände erlauben. Schließlich tragen wir auf diese Weise
zur Öffentlichkeitsarbeit der Kirche bei. Die bisher geleistete Arbeit an den zur Verfügung stehenden Quellen erlaubt es mir, auf folgende Fragen näher einzugehen:
1.) Warum mußte dieses Lager in kirchlicher Trägerschaft errichtet werden? 2.) Wie war das Lager angelegt und verwaltet? 3.) Wie wurden die im Lager untergebrachten Ostarbeiter beurteilt und
behandelt? 1.) Die Einberufungen der wehrfähigen Männer traf auch die bei der Kirche, der Diakonie und in den Gemeinden tätigen Personen. Als nun u. a. die Belegschaften der Friedhöfe sich zu
verkleinern begannen, wählten die Kirchengemeinden verschiedene Wege, um Ersatzkräfte zu besorgen. So hat die Jerusalem und Neue Kirchengemeinde 1941 durch die Vermittlung des Arbeitsamtes Kroaten, Polen und Bulgaren
bezogen, die in gemeindeeigenen Räumen untergebracht wurden. Manche Kirchengemeinden haben Kriegsgefangene beschäftigt, eine Maßnahme, die in den Gemeinden nicht unumstritten gewesen ist. So haben andere
Gemeinden z. B. durch Anzeigen in den Gemeindeblättern nach freiwilligen Helfern gesucht und Aushilfskräften, die für die schweren Erdarbeiten notwendig waren, Verträge angeboten. Aber diese Regelungen
begannen seit Anfang 1942 nicht mehr zu greifen. Aus der Jerusalem und Neuen Kirchengemeinde verlautete, dass die Rüstungsbetriebe alle verfügbaren Räume und Säle in Berlin beschlagnahmt hätten. Der in der
Gemeinde tätige Oberrentmeister Gustav-Adolf Hoppe faßte einen seit Beginn des Jahres begonnen Meinungsbildungsprozeß im Sommer 1942 zusammen: Der Einsatz von Kriegsgefangenen sei nicht günstig, da die
Gruppen zu klein und zu teuer wären. Und er formulierte den Grundsatz für den “Einsatz ausländischer Arbeitskräfte auf deutschen Friedhöfen”. “Alle diese Menschen müssen so ernährt und untergebracht und behandelt
werden, daß sie bei denkbar sparsamsten Einsatz die größtmögliche Leistung hervorbringen.” Der Barackenbau ist möglich, da die Genehmigungen bereits vorlägen; denn das Bestattungswesen der Kirche war als eine
“öffentlich-wichtige Aufgabe” eingestuft. Auch führte Hoppe aus, dass “die Berechnung der Abzüge im Falle der Beschäftigung von Russen eine andere ist, als bei den Arbeitern befreundeter europäischer Nationen”.
Schon im April 1942 hatte der Konsistorialrat und Kirchenarchivar Karl Themel die Gemeinden zu einer Besprechung zusammengerufen, um die Modalitäten für die Unterbringung und Versorgung der von den Gemeinden gewünschten
ausländischen Arbeitskräfte zu erörtern. Zu dieser Zeit hatte der Finanzbevollmächtigte Dr. jur et rer. pol. Walter Kinkel der Jerusalem und Neuen Kirchengemeinde bereits von sieben Gemeinden eine Bedarfsanmeldung
für 49 Personen. Als im Sommer einundzwanzig Gemeinden der Initiative beigetreten waren, sprach Kinkel von einer “Arbeitsgemeinschaft”, um die angestrebte rechtliche Verbindlichkeit zu unterstreichen. Die
Formulierung wurde im November 1943 endgültig aufgegeben, da die nun erzielten Regelungen als ausreichend erachtet wurden. Am 13. August 1942 besichtigten die “zuständigen Herren” der
aufsichtsführenden Behörde, also der Finanzabteilung des Evangelischen Konsistoriums der Mark Brandenburg,, das Gelände, nachdem im Juli Kinkel eine genaue Baubeschreibung des Projektes vorgelegt hatte. 2.) Kinkel hatte versucht die Sache voranzutreiben, aber der Bau war als nicht “kriegswichtig” eingestuft, so dass bei der Beschaffung von Material Verzögerungen in Kauf genommen werden mußten. Die
Werkstätten der Firma Burgsmüller in Halbe (Mark) lieferten die Pläne, den Aufbau nahm die FA Müller- Bau GmbH vor. Der Polizeipräsident, der Generalbauinspektor, die Baupolizei hatten ihre Genehmigungen erteilt. Die
finanzielle Hauptlast trug die Jerusalem und Neue Kirchengemeinde. Im Oktober 1942 konnten die beiden Baracke bezogen werden. Um die Würde des Friedhofs nicht zu gefährden, hatte man den seitlich neben dem
Eingang liegenden ungenutzten Teil, der unmittelbar an den Flughafen Tempelhof angrenzte, gewählt. Innerhalb der Friedhofseinfriedung war das Lager noch mit einem Zaun versehen. Die Küche war allerdings erst
am 9. August 1943 benutzbar, da wichtige Ausstattungsgegenstände, wie z. B. ein Kessel, nicht eher angeschafft werden konnten. Eine Wohnbaracke von etwa 50 m Länge, 8 m Breite und 2/1/2 m Höhe stand als Wohnraum
zur Verfügung. Sie enthielt acht Mannschaftsräume, in denen doppelstöckige Betten aufgestellt waren, die mit Decken, Strohmatten und Kopfpolstern ausgestattet waren, vier Aufenthalts- und vier Waschräume, einen
Duschraum und eine kleine Wohnung für den Dolmetscher, dessen Frau die Küche leitete, in der zwei Lagerinsassen beschäftigt waren. Die Wirtschaftsbaracke lag etwa zwanzig Meter entfernt von der Wohnbaracke.
Sie enthielt einen Gemeinschaftsraum, eine Küche mit Kantine und Vorratsraum, einen Büroraum, einen Wirtschaftskeller, der einbruchssicher angelegt war sowie einen Holzschuppen für das Brennmaterial für die Öfen
in den Baracken. Die Versorgung mit Wasser, Strom erfolgte durch die Stadt, auch die Toiletten waren an das öffentliche Versorgungsnetz angeschlossen. Außerdem wurde eine Splittergraben angelegt, der auf 40 m
bemessen war, von dem aber im Okt. 1943 erst 12 m fertig gestellt waren. Er war mit Zementplatten und einer Erdabdeckung gesichert. Schon im Sommer 1942 hatte die Berliner Stadtsynode den
Katasteroberinspektor i. R. Schenkel zum Lagerbuchführer eingesetzt, den der aus Neukölln stammende Walter Budweg im Oktober ablösen sollte. Die Lagerleitung oblag zuerst dem Obersekretär i. R. Baer, dem durch
Vermittlung der Berliner Stadtsynode der Bankbeamte Gustav Weniger (geb. 1884) im März 1943 folgte, der Rendant an der Lukas-Gemeinde in Steglitz war und sich zur Bekennenden Kirche hielt. Die Geschäfte mit den
beteiligten Kirchengemeinden und dem städtischen Friedhof Neukölln wickelte seit Juli 1943 der Kurator und dann auch Finanzbevollmächtigte der Jerusalem und Neuen Kirchengemeinde, Dr. jur. Max v. Bahrfeldt,
ab. Ihm standen eine Rendantin, eine Gegenbuchhalterin und eine Listenführerin zur Verfügung. Eine Krankenschwester entließ man im April 1943, da sie keine ausreichenden
Arbeitsmöglichkeiten hatte. Die Bewachung des Lagers erfolgte zuerst durch die Wach- und Schließgesellschaft. Im Januar 1943 setzte man einen deutschsprachigen Ostarbeiter ein, der aber sehr bald von den deutschen
Angestellten ersetzt wurde. In jedem Fall haben 34 evangelische Gemeinden Arbeiter aus dem Lager bezogen und drei katholische Gemeinden sowie der städtische Friedhof Neukölln. Vier Gemeinden, die
Interesse an der Errichtung des Lagers gezeigt hatten, haben nicht direkt, sondern z. Tl. über benachbarte Gemeinden Arbeiter für ihre Friedhöfe in Anspruch genommen. Die Arbeitsmarktsituation hatte sich auch für
die Gemeinden zwischen 1942 und 1944 merklich verschoben. Einige Beispiele: Zehn evangelische Gemeinden waren dem Bau eines Barackenlagers durch Beschlüsse 1942 beigetreten. Am 15. Juni 1942 hatte der
Gemeindekirchenrat der Sophien-Gemeinde 2000,- RM für das Barackenlager beschlossen. Im Januar 1944 wurde der Betrag um 1000,- RM erhöht. Auch der geschäftsführende Ausschuß der 12- Apostel-Gemeinde hatte am 27. Juni
1924 einen Zuschuß von 2000 zur Errichtung des Lagers bewilligt. Manche Gemeinden, wie z. B. die Zionsgemeinde hatte im Juni den Einsatz von ausländischen Arbeitern auf dem Friedhof
erwogen, aber eine finanzielle Verpflichtung nicht beschlossen, obwohl sie dann ab April 1943 wenigstens zwei Zwangsarbeiter aus dem Lager beziehen sollte. Die St. Elisabeth Gemeinde hatte sowohl einen Bedarf
angemeldet als auch einen Vorschuß geleistet, aber sie rekrutierte ihre Arbeitskräfte nicht nur aus dem Lager in der Hermannstraße, sondern beschäftigte darüberhinaus bis Dezember 1943 namentlich bekannte bulgarische
Fremdarbeiter, die am 6. 7. 1943 mit einem Transport aus Wien im Ausländerdurchgangslager Berlin-Wilhelmshagen eingetroffen waren. Im Oktober 1944 aber arbeiteten für die Jerusalem und Neue Kirchengemeinde
auf ihren fünf Friedhöfen fast nur noch Ostarbeiter, da andere Fremdarbeiter und deutsche Arbeiter nicht mehr zur Verfügung standen. Die Gemeinden, die sich an der Finanzierung des Baues beteiligt
hatten, erhielten ab Januar 1944 ihre Vorschüsse mit 3% verzinst. Die Rückzahlung erfolgte aus den eingehenden Tilgungsraten. Als von Bahrfeldt im August 1945 seinen Abschlußbericht vorlegte, konnte er
feststellen, dass 40% der geleisteten Vorschüsse getilgt waren. Der Rest allerdings blieb für die Gemeinden uneinbringlich, wie die Anfragen verschiedener Gemeinden bis 1952 zeigen sollten. Die Gemeinden, die
Arbeiter bezogen, mußten den Lohn nach der Ostarbeitertabelle an die Jerusalem und Neue Kirchengemeinde überweisen, von dem dann die Aufwendungen für Essen und Unterkunft in Abzug kamen. Separat ausgewiesen waren die
Zahlungen der Gemeinde für Krankenversicherung bzw. Sozialversicherung (seit April 1944). Auch die Tilgungs- und Verwaltungskostenanteile sind eigenständige Buchungsposten gewesen. Zur Zahlungsweise der
Arbeitnehmeranteile zu den Versicherungen sind z. Zt. noch keine Angaben möglich. 3.) Die Beurteilung der Ostarbeiter ist sowohl von der rassistischen Legitimation des NS-Staates bestimmt
als auch von der Kriegssituation und den Veränderungen des Arbeitsmarktes. Wir bedauern es sehr, dass wir die Sicht der Betroffenen, der Opfer, ihre Wahrnehmung der Zwangsarbeiter in kirchlichen
Einrichtungen bisher nicht anhand von Briefen oder erinnernden Zeugnissen schildern können. Wir lassen die Vertreter der kirchlichen Einrichtungen zu Worte kommen, die Zwangsarbeiter beschäftigten und nehmen
auf Erlasse Bezug, die das Leben der Ostarbeiter bestimmten. Im Oktober und November 1942 stellten Kinkel und Hoppe von der Jerusalem und Neuen Kirchengemeinde fest, dass nun die Umstellung von den kinderreichen
Bulgaren, die zudem verlaust und verwanzt seien, auf die Ostarbeiter in vollem Gange sei. Die neuen Bewohner des Lagers unterlagen ganz sicherlich der Kennzeichnungspflicht mit dem Zeichen “Ost” am Ärmel. Im Dezember
1942 beschwerte sich die Luisenstadtgemeinde, darüber, dass sie bisher nur einen Arbeiter bekommen hätte und drei Minderjährige, die für die schwere Arbeit nicht einsatzfähig sind. Eine andere Gemeinde, die
Luisengemeinde in Charlottenburg, zahlte im Januar 1943 elf deutschen Mitarbeitern eine Sonderzuwendung in Höhe von 132,00 RM bis 146,40 RM für die “Zusammenarbeit mit ausländischen Arbeitern”,
um damit die Bewachungstätigkeit der deutschen Beschäftigten zu entschädigen. Andere Gemeinden bemängelten Anfang 1943 die durch schlechte Ernährung verursachte Kondition der Arbeiter, dass sie zu jung seien und
zudem wohl ungerecht verteilt werden würden. Klagen über die mangelhafte Ernährung traten immer wieder auf und damit korrespondierend Beschwerden über die Arbeitsleistung. Im Oktober 1943 muss
von Bahrfeldt feststellen, dass wohl nur den Ostarbeitern die Aufrechterhaltung des Friedhofsbetriebes zu verdanken ist. Gegen die einsetzenden Auflösungserscheinungen gegen Ende des Krieges wurden im März 1945 44
namentlich bekannte Ostarbeiter des Lagers der Tuberkolose - Fürsorgestelle vorgeführt worden. Fünf zwischen 64 und 53 Jahre alte Ostarbeiter sind der landwirtschaftlichen Abteilung des Arbeitsamtes als nicht mehr
arbeitsfähig gemeldet worden, und es wurde um die Zuweisung der Genannten an eine Sammelstelle gebeten. Die Arbeiter sind auf Anforderung der Gemeinde zur Verfügung gestellt worden. Die
Fahrtkosten gingen zu Lasten der anfordernden Gemeinden. Hinsichtlich der Verpflegung mußte am Anfang improvisiert werden. Als die ausländischen Zivilarbeiter noch in den gemeindeeigenen Räumen untergebracht worden
waren, hatte man Gutscheine ausgegeben, die bei Aschinger gegen eine warme Mahlzeit eingetauscht werden konnten. Dann holte man das Essen aus der Kindl-Brauerei, bis dann schließlich die Beköstigung durch die Küche des
Lagers vorgenommen werden konnte. Viele Gemeinden haben den Arbeitern eine Mahlzeit auf den Friedhöfen bereitet, was häufig in der Verantwortung der Frau des Friedhofsinspektors lag. Hierfür ist von den Gemeinden ein
besonderer Verpflegungssatz ausgewiesen worden, der wohl - wenn nicht ausdrücklich vermerkt - nicht vom Lohn in Abzug gebracht wurde. Die Entlohnung erfolgte nach den für Ostarbeiter geltenden
Tarifen. Die Bezahlung entsprach deshalb wohl nur in ganz wenigen Fällen anderen, vergleichbaren regulären Stundenlöhnen für deutsche Arbeiter. Sie lagen allgemein unter den geltenden
Stundensätzen, konnten aber auch manchmal gegen den Trend der allgemeinen Lohnentwicklung aufgestockt werden, ohne diese zu treffen. Ebenfalls ist belegt, dass zu Weihnachten eine Flasche Weinbrand zum Geschenk
gemacht worden ist. Anfänglich belegten kaum fünfzig Personen das Lager, in der zweiten Hälfte des Jahres 1943 waren es dann durchschnittlich 85 pro Monat, 1944 99 und 1945 97 Personen. Am 6. Januar
1944 führten die Druckwellen von in der Netzestraße niedergehenden Bomben zu schweren Schäden an den Baracken. Der Wiederaufbau erfolgte durch die Müller- Bau GmbH. Die Kosten trug das Kriegsschädenamt. Am 29.
April 1944 zerstörten während des Tages abgeworfenen Bomben die Wohnbaracke vollständig. Die Arbeiter wurden in der Wirtschaftsbaracke, Behelfsbaracken und z. Tl. auf den Friedhöfen untergebracht, auf denen sie
arbeiteten. Das Kriegsschädenamt in Neukölln zahlte über die Lagerverwaltung jedem von den sich zu dieser Zeit im Lager befindlichen 105 Arbeitern etwa 125,-RM Entschädigung. Die Ersatzbaracke konnte erst im
Oktober 1944 fertiggestellt werden, so dass Klagen über häufiges polizeiliches Einschreiten und wachsende Kriminalität hinreichend Nahrung gegeben wurde. Eine Erstattung über das Kriegsschädenamt erfolgte jetzt
nicht mehr. Im Februar 1945 wird das Lager erneut durch Bomben beschädigt. Im April 1945 wird die Baracke fast vollständig zerstört. Die Aprillöhne konnten nicht mehr ausgezahlt werden. |